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Ein Einblick in die moderne Flugsicherungstechnik

Dez. 2015 - gert Redlich - Auf meinen Wunsch hin erhielten wir nachfolgenden Artikel, wozu man diese Assmann VMG Magnetband-Geräte anfänglich gebraucht hatte und wie sich diese Technik im Laufe der letzen 50 Jahre gravierend geändert hatte.
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Was ist eine Flugsicherungsstelle ?

Zu Ihrer Frage ... eine Sprachvermittlungsanlage (VCS, "Voice Communication System") ist das Herzstück einer Flugsicherungsstelle. Damit werden die Flugfunksender, Flugfunkempfänger, Fernleitungen (Standleitungen, MFC-Verbindungen, ISDN-Nebenstellen, VoIP-Anlagen, ...) auf die Lotsenarbeitsplätze geschaltet. Der Lotse bedient diese Anlage auf seinem Arbeitsplatz mit einem Touch-Input-Panel. Sein wichtigstes Arbeitsgerät ist der Hörer.

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich auf Ihren Seiten gelesen, dass die Sprachrecorder die Disziplin fördern sollen ... das stimmt so in etwa. Es geht und ging aber vor allem darum, Unfallursachen und die Verursacher ausfindig zu machen. Weil die Schadenssummen für die betroffen Versicherungen(!) so unglaublich hoch sind. Ein einzelnes Passagierflugzeug kostet je nach Größe 80 - 400 Millionen Euro ...
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Der Lotsenarbeitsplatz

Das "Air-Situation-Display" (ASD) ist der zentrale Arbeitsplatz-Bildschirm, auf welchem das Luftlagebild dargestellt wird. Das Luftlagebild wird erstellt mit Radararanlagen (SSR und MBR, ASR) und Multilaterationsempfängern (WAM, MLAT) und den zugehörigen mehrfach redundanten Zentralrechnersystemen.

Daten zu einzelnen Luftfahrzeugen, Flugpläne und viele viele weitere Informationen (bspw. Wettermeldungen, Wetterradar-Bilder, Blitzentladungskarten, ...) werden auf dem ASD und auf den Supportbildschirmen links und rechts des ASD dargestellt. Diese Bildschirme je Lotsen-Arbeitsplatz haben über Umschalteinheiten jeweils(!) zwei Rechner mit gleichem Datenstand im Hot/Standby-Betrieb hinterlegt.

Ein vollständiges "Replay"

Heute ist das Ziel des "Recordings" ein vollständiges "Replay" eines beliebigen Lotsen-Arbeitsplatzes durchzuführen. Jeder Bildschirminhalt, jeder Mausklick, jede Tastendruck, jedes Audio-Signal (egal ob Funkempfang, Funkaussendung, Signal im Lotsen-Kopfhörer, Signal vom Lotsen-Mikrofon, Telefon am Tisch, ...) und jedes Datenpaket wird daher schon während des laufenden Betriebes zusätzlich "ins Archiv" geschickt.

Somit geht es heutzutage nicht mehr um die Aufzeichnung alleine von Sprache (Funk/Telefonleitungen), sondern um ein vollständiges Replay einer Gesamtsituation innerhalb eines Zeitfensters. Natürlich ist dabei auch der gesamte Funksprechverkehr (von allen Funkempfängern auf allen Fest-Frequenzen) und die telefonischen Koordinationsgespräche (auf den Fernsprechleitungen und auf den Arbeitsplätzen) mit angrenzenden Flugsicherungsstellen darauf enthalten.

Im Falle eines Fehlers . . . .

Somit ist es möglich, im Falle eines Fehlers im Bereich Pilot, Luftfahrzeug, Lotse, Flugsicherungssystem eine umfassende Analyse vor zu nehmen. Da es um unvorstellbare Schadensbeträge geht, ist die Ursachenklärung bei Fehlern von höchstem Interesse. Einerseits entstehen auf diese Weise Unfallberichte und neue Vorschriften oder Empfehlungen, andererseits aber auch die Informationen, die nötig sind, um erst gar keine Unfälle passieren zu lassen. Die fortlaufende begleitende Analyse dieser Informationen und aller betrieblichen Vorgänge, Anomalien und beinahe-Fehler ist integraler Bestandteil eines modernen Flugsicherungssystems.

Heute eine enorme Positions-Genauigkeit

Die minimalen Luftfahrzeug-Staffelungsabstände betragen derzeit 300m (1000 ft) vertikal und 2,5 nautische Meilen horizontal. Auch die geringfügigste(!) Unterschreitung dieser Abstände von Luftfahrzeugen führt zu einem verpflichtenden Report an eine europäische Zentralstelle, und eine umfassende Untersuchung wird durchgeführt. Die resultierenden Informationen werden verteilt und sind wiederum verpflichtend zur Kenntnis zu nehmen und umzusetzen, neue Vorschriften bzw. Betriebsverfahren entstehen auch auf diese Weise.

10 Millionen(!) Flugbewegungen

Es geht in Europa um ein Business von etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr. Die Flugsicherungskosten betragen dabei etwa 7,5 Milliarden Euro in ganz Europa für die etwa 10 Millionen(!) Flugbewegungen von Luftfahrzeugen mit insgesamt 9.300 Millionen zurückgelegten Flugkilometern. Dabei werden etwa 20 Unfälle pro Jahr registriert. Nur wenige davon sind katastrophale Luftfahrzeugabstürze.

Stimmen aufzuzeichnen reicht seit langem nicht mehr

Es geht also schon seit etwa 20 Jahren nicht mehr darum, Stimmen aufzuzeichnen, sondern darum, vollständige Situationen und Abläufe zur Analyse und Auswertung nochmals abspielen und auch in Varianten davon simulieren zu können.

Es gibt dafür die Begriffe "Datensperre" (früher "Tonbandsperre") und "Replay". Eine Datensperre wird ausgelöst von einem dienstführenden Mitarbeiter einer operativen Flugsicherungseinheit. Dadurch wird ein "Schreibschutz" auf allen Aufzeichnungen im betreffenden Zeitfenster angebracht. Die Daten werden zusätzlich nochmals langzeit-gesichert und für die Analyse (auf speziellen Arbeitsplätzen, und im Flugsicherungs-Ausbildungssimulator) verfügbar gemacht. Der Zugriff auf die "gesperrten" Daten wird sehr restriktiv gehandhabt.

Das COOPANS NG-AATMS

In Österreich ist Ende November 2015 eines der modernsten Flugsicherungs- "Betriebs-" Systeme der Welt (bestehend aus Arbeitsplatzrechnern + Zentralrechern + Software) vollständig in Betrieb gegangen, das COOPANS NG-AATMS.

Die Lebensdauer solcher Systeme beträgt etwa 20-25 Jahre, unter fortlaufender(!) Anpassung und Weiterentwicklung der Funktionen, und auch fortlaufender Erneuerung der Hardware. Das gleiche System läuft auch in anderen Ländern der Beschaffungspartnerschaft COOPANS. Die modernste Ausprägung dieses von THALES gelieferten Systems, auch für die Flugsicherung im unteren Luftraum bis zu den Airports (Start/Landung der Luftfahrzeuge) ist in Österreich in Betrieb. Die Betriebsaufnahme erfolgt bei solch großen Systemerneuerungen immer völlig unterbrechungsfrei, die Passagiere / Piloten in den Luftfahrzeugen bemerken davon gar nichts.

Jeder Lotse kann nun (zusätzlich) mit geringem Aufwand ein Kurzzeit-Replay (max. 2 Stunden zurück) auf seinem Arbeitsplatz machen, um Unklarheiten rasch zu beseitigen.

Diese modernen Replay-Systeme sind tief in die eigentlichen Systeme (Radardaten-Rechner, Flugplandaten-Rechner, Sprachvermittlungsanlagen, Supportsysteme) integriert, integraler Bestandteil dieser Flugsicherungssysteme.
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Blick und Rückblick ins Eingemachte

Ich hoffe, damit ist die Frage, warum keine dieser Recorder von ATIS und Co mehr benötigt werden. Ein paar 19-zoll Racks mit DA-Wandler- bzw. Interface-Baugruppen, mehrfach redundanten Servern mit Raid-5 Disk-Arrays als integraler Bestandteil der betreffenden Flugsicherungsanlagen (Daten, Sprache) erledigen die sichere und schnell zugreifbare Aufzeichnung.

Die Datenleitungen zwischen den Flugsicherungsstellen und den Zentralrechnern umfassen in Summe viele 100 MBit/s Bandbreite. Die Flugsicherungsstellen wiederum haben Daten-Verbindungen (über LWL, Richtfunk, Beitband-Kupfer) zu den zahlreichen Außenstellen (Sende- und Empfangs-Standorte). Dort stehen Multiplexer und zerlegen wieder in Audio. Oder auch nicht - bei der neuesten Generation Rohde & Schwarz Flugfunk-Sender-Empfänger wird bereits mit VoIP am Leitungs-Übertragungsweg gearbeitet.

Eine Annäherung auf 290 Meter ist bereits ein "Unfall"

Es gibt inzwischen viel weniger schwere Unfälle. Wie gesagt, eine Annäherung auf 290 Meter Vertikalabstand ist heute definitiv ein zu untersuchender "Unfall". Radar und Multilateration (MLAT, AWAM) liefern (im besten Fall) Positions-Auflösungen im Bereich von 0,5 - 2 Metern Genauigkeit. Die barometrischen Höhenmesser lösen problemlos auf Dezimeter genau auf. Es gibt praktisch keinen "Spielraum".

Das österreichische Flugsicherungssystem (die Software) ist in der Lage, selbsttätig zu erkennen, ob ein Pilot (oder Autopilot) den Anweisungen des Lotsen folgt. Bei einer Abweichung (im beauftragten Manöver, Position, Höhe) erfolgt eine Anzeige am Lotsen-Bildschirm.

Viele Luftfahrzeuge bzw. deren FMS, "Flight-Management-System" (Navigations-Bordrechner) sind bereits mit den Zentralrechnersystemen der Flugsicherungen über AirGround-Datalink verbunden - auch diese Datenströme müssen natürlich aufgezeichnet und eine Zeit lang archiviert werden.
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Bezahlbar und verlässlich muß es bleiben

Anders als mit Automatisierung und Überwachung geht es nicht, mit sinkenden (Flugsicherungs-) Kosten die steigende Zahl an Flugbewegungen sicher abzuwickeln. Die österreichische Flugsicherung ist per Gesetz dazu verpflichtet - und darf keinen Gewinn machen.

Die Kundschaft (Airline-Industrie) macht aber natürlich gewaltigen Druck auf die staatsnahen Flugsicherungen, um dort jede mögliche Kostensenkung(!) heraus zu pressen. Obwohl die spekulationsgetriebenen Spritkosten-Schwankungen(!) das 10 fache an Kosten je Passagier ausmachen im Vergleich zu den Flugsicherungsgebühren.

Das sind im Schnitt einzelne Euros, die ein Passagier bei einem Europa-Flug für die Flugsicherungsdienstleistung (betreuende Radar-Lotsen, Flugmeteorologie, Flugsicherungstechnik) aufbringt. Damit die Flugzeuge möglichst direkt, möglichst knapp aneinander, möglichst ohne wetterbedingtes Rütteln, ohne Zusammenstöße mit knapp 1000 km/h dahinfliegen können. Im schönen kleinen Österreich sind innerhalb 24 Stunden etwa 2500 Flugzeuge in der Luft ...
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