Dr. Schiesser erzählt zur Einleitung:
Dr. Schiesser: Ich wurde 1936 mit einem Anfangsgehalt von RM 270.- von Patzschke eingestellt - das war mein erster Besuch bei AEG. Auch an meinen letzten Besuch erinnere ich mich: das war wiederum im FKO am Friedrich-Karl-Ufer bei Geheimrat Bücher im April 1945. Er hatte eine große Kiste mit Importen auf dem Tisch stehen und bot mir eine davon an. Ich habe in meinem Leben noch keine solche dicke, schwarze Zigarre geraucht. Zu der Zeit hütete Bücher seine Zigarren ganz besonders, weil sie nicht mehr nachgeliefert wurden, aber nun sagte er: "Jetzt ist ja doch alles vorbei, alles hat keinen Zweck mehr. Kommen Sie, jetzt rauchen wir eine." Das war meine letzte Begegnung mit Geheimrat Bücher im FKO.
Dr. Schiesser: Ich erinnere mich, daß seinerzeit im Labor alles so aussah, wie es Herr Westpfahl geschildert hat. Es war eine Anzahl von Laufwerken vorhanden. Das Problem war damals eigentlich die Mechanik: wie wird man mit dem dünnen Band und den schweren Maschinen fertig? Die Massen waren alle viel zu groß, das war etwas unglücklich. Schüller erzählte mir: das haben wir noch vor einem Jahr mit 2 <?> m/s gemacht, da ging es gleich gar nicht, jetzt sind wir immerhin schon auf 76 cm/s heruntergegangen. Wir schlugen uns mit Trägheitskräften und Bremsmomenten herum und mußten die richtigen Motorcharakteristiken heraussuchen. Das war eine typische Laboraufgabe. Meine Erinnerung deckt sich ungefähr mit dem, was Herr Westpfahl sagte.
Mit aus heutiger Sicht primitivsten Mitteln . . .
Außerdem waren aber noch eine Menge magnetische Dinge zu beachten. Zunächst einmal hatten wir die Bänder nach ihrer Eignung zu beurteilen. Damals fing man mit Vergleichen, eben empirisch an: man sprach auf das Band und urteilte dann: klingt dies besser, klingt jenes besser. Dann mußte das alles ein bißchen solider gemacht werden. Man fing an bzw. versuchte, magnetisch zu messen, aber für Koerzitivkraft und Hysterese gab es ja nach keine Meßinstrumente, also keine Förster-Sonde und solche Dinge. Man konnte nur mit einem Ampere-Meter und einer Kompaßnadel arbeiten, mehr hatte man praktisch nicht zur Verfügung. Das Prüffeld wollte auch Angaben <:Meßvorschriften?> haben. Wenn man dort Löschköpfe prüfen wollte, mußte natürlich das Spaltfeld gemessen werden. Das war aber schrecklich klein, und die vorhandenen Meßinstrumente waren alle (vom Meßbereich her) zu groß.
Auch die Form der Löschköpfe stand zur Debatte. Man kam darauf, daß sich ein Ringkopf nicht so gut macht: dann merkte man: wenn der Löschkopf noch ein Horn hat, arbeitet er besser, aber das Horn mußte in die eine Richtung zeigen, nicht in die andere. Daraus ergab sich die Frage: was hat das Horn bewirkt? Schließlich kam man darauf, daß ja zweimal in die Sättigung magnetisiert wurde; einmal vom Spalt in die eine Richtung, und dann vom zweiten, vom Horn, wieder in die andere Richtung, dort aber nicht so weit hinein, so daß die Vormagnetisierung nachher wieder auf den geraden Teil der Kennlinie zielte, wobei man noch nicht so genau wußte, was eine magnetische Kennlinie war.
Das alles war für uns völliges Neuland. Es gab bei Heraeus einige Leute, die das Gebiet beherrschten, und es mag auch ein paar Physiker gegeben haben, die Bescheid wußten, aber für einen Ingenieur war das alles noch sehr weit weg. Bei Barkhausen habe ich natürlich auch gelernt, wie eine Hystereseschleife aussieht, aber als es dann mit absoluten Zahlenwerten anging und um Fragen, was Armco <?> ist und was Mumetall und ob es so empfindlich ist, wie ja Herr Westpfahl gesagt hat - es war in der ersten Zeit wirklich so empfindlich - das war ja alles Neuland. Messen und ein bißchen dahinterkommen: was ist wirtschaftlich, was nicht - das war eine schöne Beschäftigung in der ersten Laboratoriumszeit.
Der Einstieg in die Vormagnetisierung
Eine meiner ersten Entwicklungen war ein Abfallprodukt dieser Arbeit. Da kam Dr. Schepelmann von einer Zigarettenfabrik in Dresden zurück. Dort gab es Probleme mit ovalen Zigaretten, die einen Aufdruck hatten, der stets nach "oben" in der Zigarettenschachtel zu liegen hatte, so daß sich ein sauberer "Spiegel" ergab. Wir mußten also etwas haben, was die Zigaretten richtig einordnen konnte - mit Fotozellen durfte das jedoch nicht gemacht werden. Schließlich hatte jemand den Gedanken, man könne die Zigaretten mit einer eisenhaltigen Farbe bedrucken. Es mußte nun eine Maschine gebaut werden, die das Band, <auf dem die Zigaretten> zwar parallel, aber sonst willkürlich lagen, abtastete. Wenn der Aufdruck nicht oben lag, sprach ein Mechanismus an, der die Zigarette herumdrehte. Schließlich lagen dann alle Zigaretten richtig in der Schachtel. Ich weiß nicht, warum man das nicht mit einer Fotozelle gemacht hat.
Thiele: Der Fotozellenmechanismus war durch Otto Schulze bekannt und vorhanden. Dieser war als junger Ingenieur von Siemens zur Zigarettenmaschinenfabrik Universelle delegiert worden, um diese Optoelektronik einzuführen. Schulze hat sich dort als so clever erwiesen, daß Universelle ihn von Siemens wegengagiert hat. Als Schulze hörte, daß die RRG mit dem Fernsehen anfange, wollte er von Universelle weg. Man ließ ihn aber erst gehen, als er mit dem damaligen DI, heutigen Dr. Körber einen Nachfolger stellte. Die mechanische Wendevorrichtung nach dem Prinzip der Optoelektronik war ein Patent von Universelle, das Otto Schulze vorfand. ich nehme an - das ist meine Spekulation -: um nachzuweisen, daß man nicht von Siemens-Patenten abhänge, hat Pfleumer <nachdem seine Bänder schon bekannt waren) die "magnetische" Bedruckungsmöglichkeit angegeben, die Sie zum Arbeiten gebracht haben. Pfleumer war freier Berater bei Universelle und hat dort Gold-Zigarettenmundstücke gemacht, über die Goldmundstück-Bronze-Technologie, eingebettet in Lack, ist er schließlich auf das Magnetband gekommen.
Schiesser: Wir haben <bei der Zigaretten-Lage-Erkennung> gemerkt, daß es sehr schlecht geht, solange man nicht vormagnetisiert. Mit Vormagnetisierung ging es allerdings großartig, und das war wieder ein Abfallprodukt unserer Magnettontechnik. Diese ging ja auch ohne Vormagnetisierung miserabel, mit VM ging sie gut.
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