Vorwort zum Kommentar von Dipl.-Ing. Stefan Richter
Herr Richter (ein ehemaliger DDR Bürger) nimmt Bezug auf die Meinung eines Wessi über Ossi Tonbandgeräte.
Da er sich ausserordentlich viel Mühe gemacht hat, seine Meinung fundiert darzustellen, lesen Sie seine absolut unveränderten Ausführungen in den folgenden Absätzen.
Also ich muss mal eine Lanze für den „Smaragd“ brechen.
Sie haben ja mal einen auseinander genommen und das entsprechend kommentiert. Sicherlich müssen Sie sich dabei immer wieder mit Anwürfen von uns Ossis auseinandersetzen, die mit sarkastischen Kommentaren nichts anfangen können. Aber diese kommen meist so wie der Ihrige zustande, wenn man es möglicherweise nicht besser weiss. Da ich Sie aber (zumindest auf Grund Ihrer Seiten) als aufgeschlossen und interessiert erachte, hier mal meine Smaragd Geschichte, die ganz besonders von meinen persönlichen Erfahrungen geprägt ist.
Ich habe 1980 meine Ersteinstufung als Schallplattenunterhalter (hieß auch damals schon Diskjockey) bekommen. Dabei handelte es sich um eine Prüfung, die man ablegen musste, wenn man mit einem „musikalischen Gelegenheitsgeschäft“ (kurz MuGGe), nebenberuflich Geld verdienen wollte. Das damalige Arbeitsmaterial waren die, dem Lehrlingswohnheim gehörenden, Tonbandgeräte (Tesla B57), die eigentlich nicht für die Disko angeschafft wurden, sondern für die Ausbildung. Die Lehre war zu Ende und wenn ich weiter „muggen“ wollte, brauchte ich was Eigenes.
Ich hatte aber leider aber kein Geld um die wenigstens drei Bandmaschinen zu erwerben, die man mindestens brauchte: eine zum Aufnehmen, zwei für den Auftritt. Und so kam der Smaragd ins Spiel. Das deutsche Zentralinstitut für Lehrmittel (DZL) sonderte zu dieser Zeit die Geräte aus, die nach fast 30 Jahren Einsatz in der Schule nun wirklich nicht mehr zu reparieren waren, denn der zentrale Riemen wurde nicht mehr gefertigt.
Für immer noch 50 Mark (Ost) pro Gerät, habe ich also drei solcher Geräte von einem Techniker erworben, der sie sonst auf den Schrott geworfen hätte. Und so begannen die BG20 ihr zweites Leben, bei mir in der Disko. Aus einem Schlauch vom W50 (war ein LKW in der DDR) habe ich die Riemen geschnitten, da sie vom Durchmesser gut passten. Die liefen zwar nicht geräuschlos, aber in der Disko war das nicht von Belang.
Mit diesem Set bin ich also losgezogen und habe das Geld erarbeitet, von dem ich mir zwei Jahre später zwei SHARP Walkman (haben damals 750 Mark gekostet und einen hab ich heute noch) gekauft habe. Ich hatte dann die Walkman für die Disko und ein SK3000 Kassetten Deck zum Aufnehmen. Ich wurde oft von meinen Kollegen belächelt für meine Gerätewahl. Aber sie war hauptsächlich diktiert von meinen finanziellen Möglichkeiten und natürlich auch vom allgegenwärtigen Mangel an Alternativen.
Mit den SHARP Walkman haben dann aber noch viele DJ in der DDR gearbeitet. Die Teile waren einfach unverwüstlich und eben für Ostgeld zu haben, sonst hätte man für D-Mark im Intershop kaufen müssen, was übrigens auch viele DJ gemacht haben.
Nun noch mal zu den Smaragden
Der entscheidende Unterschied zwischen Ost und West war sicherlich, dass die Tonbandgeräte über Jahrzehnte in Betrieb gehalten wurden. Wer in den 50er und 60er Jahren so viel Geld hatte (schließlich musste man auch noch ein Radio haben, zum Aufnehmen), sich ein solches Gerät zu kaufen, hat dafür gesorgt, dass es lange funktioniert hat. Und viel Geld hatten beileibe nicht die von Ihnen beschriebenen Bonzen. Reich in diesem Sinne waren eher Künstler, Wissenschaftler, Handwerker und bis in die 70ger gab es auch noch private Unternehmer.
Auch ich mit meiner Disko war ein solcher (auch wenn es nicht so hieß) und habe gut verdient. Besser als so mancher „Bonze“. Unwahrscheinlich viele Tonbandgeräte wurden für so genannte „gesellschaftliche Bedarfsträger“ verwendet. Das waren auch keine Bonzen, sondern Schulen, Kulturhäuser, Jugendklubs, Theater. Allein an der Schule, an der ich gelernt hatte, waren fast 50 Geräte vorhanden, vom SAMARAGD bis zu den damals aktuellen TESLA Geräten. Und in der Mangelwirtschaft in der DDR hatten diese „gesellschaftlichen Bedarfsträger“ absoluten Vorrang gegenüber der Belieferung von Privatleuten.
Die DDR hatte aufgehört, eigene Tonbandgeräte zu produzieren und dies den Tschechen überlassen. Sie beschreiben ja die Rolle des RGW. Nachdem aber klar wurde, dass die Tschechen das nicht in den gewünschten Mengen hinkriegen würden, hat die DDR Industrie eben angefangen, Phillips Lizenzen (Sie schreiben, die waren billig) zur Compactcassette zu erwerben und solche Geräte zu bauen. Und wie das so war, wenn man in den 80ern in der CSSR in den Tesla Laden ging, stand dort alles voll mit Tonbandgeräten und im RFT Laden in der DDR stand alles voll mit Kassettengeräten. Nur umgekehrt eben nicht.
Und noch was zu den „Bonzen“.
Sicher haben auch diese Leute solche Geräte bevorzugt bekommen. Wichtiger waren aber auf alle Fälle gute Beziehungen zu den Verkäufern, die Mangelartikel unter dem Ladentisch verkauften. Solche Beziehungen hat man sich eben nicht mit dem Parteibuch erarbeitet, da musste man schon was Besonderes haben: z.B. Geld, besser Westgeld oder andere Dinge die man eintauschen konnte. Oder ganz einfach eine gute Freundschaft. Meine besten Beziehungen zu einem privat geführten Rundfunk Geschäft (Ja, so was gab es.) habe ich als DJ durch eine besonders gelungene Familienfeier aufgebaut. Und da wurde ich dann angerufen, wenn besondere HiFi Technik da war oder Farbefernseher mit InLine Bildröhre und PAL Decoder.
War ich deshalb ein „Bonze“?
Es wurde damals immer gelästert: als es im Centrum Warenhaus Farbfernsehgeräte mit PAL Decodern gab, wären die SED Genossen die Ersten gewesen, die sich angestellt haben. Schließlich fiel es am wenigsten auf, wenn sie im Betrieb fehlten.
Die sogenannten „Bastlersätze“
Dazu ein kurzer Einschub: Die Marke BRUNS z.B. des NECKERMANN Versandes wurde übrigens im Fernsehgerätewerk Staßfurt gebaut… Und weil ich gerade dabei bin: BASF ließ nicht nur Tonbänder sondern auch Kompaktkassetten in Dessau fertigen. Für uns Normalbürger daran erkennbar, dass wenn man die Kassettenschachteln öffnete, waren die Stifte für den SM Mechanismus vorhanden. Bänder, die die BASF Spezifikation nicht erreichten, wurden manchmal als so genannte „Bastlersätze“ für 20 Mark verkauft.
Da bekam man drei Kassetten ohne Hülle und Aufkleber, mit teilweise nicht ganz 60 Minuten Spieldauer oder das Band war nicht am Wickel befestigt (das war ein interessantes Angebot, sonst kostete eine Eisenoxyd Kassette 20 Mark, Chromdioxyd 30 Mark). Und da konnte es schon mal vorkommen, dass der SM Mechanismus sogar noch drin war, oder das typische rot durchsichtige Vorspulband, das bei ORWO Kassetten klar durchsichtig war. Es hieß immer, das breite Band wurde für die Kassetten zerschnitten, die Randbereiche wurden in ORWO Kassetten gespult, die Mitte wurde BASF Export. Es gab also nicht nur asiatische Billiglohn Länder.
Der Mielke Smaragd
Einer der bekanntesten Bonzen in der DDR war sicherlich Erich Mielke (Stasi Chef). Auch in seinem Büro gab es einen Smaragd. Da befindet sich das Gerät übrigens heute noch und wurde bis zu Mielkes (sicherlich überstürzten) Auszug 1989/90 in Betrieb gehalten. In der Gedenkstätte in der Stasi Zentrale in Berlin kann man es noch heute bewundern. Und man kann sicher nicht sagen Mielke hätte keine Chance gehabt, sich was Besseres zu besorgen.
Sie beschreiben in Ihrer Demontage den völlig abgeschliffenen Tonkopf. Gehen Sie mal davon aus, dass es sich dabei immer noch um den ersten, originalen aus den 60ern handelte, der sicherlich deutlich mehr Betriebstunden auf dem Buckel hatte, als ein vergleichbarer, z.B. von Grundig. Die wurden bestimmt nach 5 Jahren Betrieb weggestellt (sonst hätten sie ja nichts für Ihr Museum) oder weggeworfen, schließlich gab es an jeder Ecke was Neues, Besseres, Protzigeres.
Nicht so in der DDR. Viele Bastler haben irgendwann, aufbauend auf der Mechanik des Gerätes, die BG20 komplett umgebaut. Es gab Schaltpläne und Leiterplattenentwürfe in den einschlägigen Bastlermagazinen, um aus dem Röhrengerät ein transistorisiertes oder sogar ein Stereo Gerät zu bauen. Dann wurden Tonköpfe von Tesla eingebaut oder die Westverwandtschaft musste welche schicken. Der CONRAD Katalog wurde schließlich wie eine Bibel weitergereicht.
Über die Wegwerfgesellschaft
Auch repariert wurden solche Geräte lange. Mindestens 10 Jahre nach Auslauf der Produktion war gesetzlicher RFT Service garantiert. Also bis in die 70er Jahre hinein und so auch für die Geräte aus den 50ern. Und der Service war billig, zumindest im Verhältnis zu heute, lohnte eine Reparatur immer. Schließlich gab es entweder nichts Neues oder es war eben deutlich teurer als eine Reparatur. Heute lohnt z.B. die Reparatur eines 3 Jahre alten Fernsehers oder so überhaupt nicht mehr. Selbst die Hersteller wickeln Garantiefälle durch Austausch ab, schließlich werden schon für die Diagnose 50 EURO und mehr fällig. Also Ex und hopp.
Der Aufbau, den Sie so fleddern, war absolut reparaturfreundlich, wenn man jedes Teil einzeln auswechseln kann. Ausgelaufene oder Papier Kondensatoren konnten (und wurden) durch aktuelle Modelle ersetzt werden, an den Kabelsträngen war kein Vergang (wie man so schön sagte), die Vormagnetisierung ließ sich an aktuelle Bandmaterialien anpassen. Oxidierte Steckverbinder konnten wieder blank gefeilt werden oder wurden eben durch ein aktuelleres Teil ersetzt.
Die Mechanik war (und ist) schlicht unverwüstlich. Eine so große und schwere Schwungmasse war durch meine selbst geschnittenen Riemen nicht zu erschüttern. Und an das Alu Chassis konnten eben auch andere Tonköpfe angepasst werden, weil die mechanische Qualität das einfach zugelassen hat (schneiden sie mal ein Gewinde in ein Chassis aus Plaste oder Trompetenblech).
Wir haben mal aus Spaß Über-Band-Übertragungskurven ermittelt und haben Frequenzgänge von 20 bis 10kHz bei 9,5cm/s und von 20 bis 13kHz bei 19cm/s gemessen. Alles Gründe für den gelernten DDR Bürger wieder und wieder Arbeit und Geld in solch ein Tonbandgerät zu investieren. So gesehen ein typischer DDR Bau, langlebig und wieder und wieder aufzubauen, wie ein Trabant.
An der Kompaktkassette kam keiner vorbei
Aber irgendwann war auch damit Schluss, an der Kompaktkassette kam keiner vorbei. Als ich genug Geld beisammen hatte, wechselte ich zu den SK3000 Kassetten Rekordern. Das war zunächst erst einmal Bückware (der Verkäufer musste sich unter den Ladentisch bücken um eins hervorzuholen) und dann ein hervorragendes Zweimotorenlaufwerk mit Dolby Rauchminderung, von denen ich heute noch alle meine drei Disko Geräte habe.
Ich nutze sie zwar nicht mehr regelmäßig, denn seit ich die Möglichkeiten habe, erfreue ich mich an CD- und MP3 Playern. Allerdings wanderte mein letzter Smaragd in einen Schrank und hat dort nicht gerostet, sondern hat friedlich ein bisschen vor sich hin oxidiert. Manch Gerät hat es sicher nicht so gut gehabt und ist vom schönen Wohnzimmer in eine zugige Garage oder in den feuchten Keller geschafft worden. Da rostet dann auch mal was, und das muss nicht unbedingt mit schlechter DDR Qualität in Verbindung gebracht werden, Rost ist nun mal System übergreifend… ganz ohne sozialistische Produktionsmethoden. Ich bin ja mit über 40 auch nicht mehr ganz taufrisch…
Rückblick "in" meine alten „Schnürsenkel“
Nach vielen Jahren hatte ich mal das dringende Bedürfnis verspürt, meine alten „Schnürsenkel“ wieder anzuhören. Mein alter Smaragd ließ sich zwar anschalten, spulte und transportierte das Band noch, auch das magische Auge fing an zu glühen, aber Musik wollte nicht mehr erklingen. Da ich zu einer Reparatur keine Lust hatte, habe ich mir bei Ebay ein Philips N4512 Tonbandgerät (auch für 50 Mark, diesmal aber West) ersteigert. Dafür, dass die Bänder Anfang der 80er aufgenommen wurden und fast 20 Jahre irgendwo gelegen haben, war ich sehr erstaunt über die Qualität. Klar fehlten mir die Höhen etwas, aber geleiert hat nichts. Ich muss allerdings gestehen, dass ich damals eher weniger Klaviermusik aufgezeichnet hatte, sondern das, was mir gefiel und ich für die Disko brauchte.
Sie sehen also jede Menge eigenes Herzblut, das ich mit meinen Tonbandgeräten verbinde. Schließlich haben sie den Sound meiner Jugend erst möglich gemacht. Mit diesem Sound kommt ein wenig von der Zeit wieder, wenn man die alten Schnürsenkel wieder abspielt, die Spulen sich drehen und es ein wenig nach warmen Öl riecht.
Stefan Richter im Dezember 2008