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Ein Freund schreibt über einen Freund. Egon Fein für Max Grundig zum 75. Geburtstag.
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Kapitel I - 7. Mai 1908 - "Mit einem Zehner fing es an"
übearbeitet von Gert Redlich im Winter 2018.
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Der Tag, an dem alles begann, war ein Donnerstag ........
Siebter Mai 1908. Ein sonniger Morgen über Nürnberg, das Thermometer zeigt 12 Grad. Mittags trübt es sich ein, es gibt ein paar Regenschauer, ein böiger Südwestwind kommt auf.
Denisstraße 3, drittes Haus links, gleich nach der Müllner- straße, Stadtteil Gosten-hof, im Westen Nürnbergs. Ein schmales gelbes Bürgerhaus, wie viele in dieser . Gegend, kleine Erker, ein eingemeißelter Blumenkorb im Jugendstil, das Treppenhaus eng, zwei Wohnungen in jedem der drei Stockwerke, ein Hinterhof, nicht viel größer als ein Dutzend Handtücher.
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Die Grundigs bekommen einen Sohn
Dem Schreinermeister Georg Hollfelder gehört dieses Haus; ein Kaufmann, ein Lokomotivführer, ein Schutzmann, ein Vorarbeiter, ein Magaziner mit ihren Familien sowie eine Witwe leben hier.
Ein paar Wolken mehr oder weniger machen in der Denisstraße - benannt nach dem Nürnberger Bezirksingenieur Karl Denis, der 1835 die erste deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth gebaut hat - kaum einen Unterschied. Sonne kommt ohnedies nie hierher. Die Fenster zur Straße liegen nach Norden. Nur zum Hof, wo ein kleiner Balkon von der Küche hinausführt, schielen die Sonnenstrahlen zwischen den traurigen Mietshäusern hindurch.
Aber heute, am 7 Mai 1908, ist dem Ehepaar im ersten Stock das Wetter sowieso egal. Die beiden haben mit sich selbst genug zu tun:
Marie Grundig, geborene Hebeisen, 27 Jahre alt, und der schon erwähnte Magaziner Max Emil Grundig, 29 Jahre, erwarten ihr erstes Kind, und sie wollen es zu Hause in ihren vier Wänden bekommen. Eine Hebamme, das ist alles, was Marie Grundig dazu braucht.
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Es ist ein Junge
Dieses Kind ist ein Junge, und er kommt zur Welt, ehe die ersten Regentropfen gegen die Fenster klatschen, und als - fast zur selben Stunde - Karl Freiherr von Haller stirbt, Sproß eines der ältesten Nürnberger Patriziergeschlechter.
Soll man da nicht sagen: Ein Berühmter geht, der andere kommt? Nun, heute könnte man es - damals bestand zu solcher Feststellung noch kein Anlaß.
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Getauft und publiziert
Der Junge in der Denisstraße 3, erster Stock, geriet nicht zu kräftig, aber auch nicht schwächlich. Gesund und laut wie alle Babys. Ein ganz normaler Bub. Nur sein Zeitgefühl war ganz offensichtlich noch nicht recht intakt.
Hätte er bloß vier Tage mehr Geduld gehabt, wäre er pünktlich zum 29. Geburtstag seines Vaters angekommen, am 11. Mai. Der Vater hätte sich gefreut. Aber wie sollte ein so kleines Kind das schon wissen? Und Mutter konnt's nun mal nicht ändern.
Ein paar Tage danach wurde dieses Kind, wie sein Vater, auf den Vornamen Max getauft, und zwar im katholischen Glauben, weil auch die Mutter katholisch war, Vater Max Emil hingegen evangelisch.
Und am 11. Mai machte man das Ereignis einem größeren Publikum bekannt. In den standesamtlichen Nachrichten der »Nordbayerischen Zeitung« erschien, unter »Lorenzer Stadtseite«, die knappe Meldung, daß dem Magaziner Max Emil Grundig ein Sohn geboren wurde.
Wie das seinerzeit eben so war: Von der Mutter sprach kein Mensch - dem Vater wurde der Sohn geboren. Amtlich. Sei's drum: Schließlich war's der 11. Mai, und so kam er doch noch zu seiner Geburtstagsfreude...
Man sieht: Alles ging den rechten Gang, nichts daran war ungewöhnlich. Später freilich zeigte es sich, daß aus dem Max Grundig von der Denisstraße doch ein ungewöhnlicher Mensch werden sollte...
Die Zeit war friedlich und kaiserlich
Im Mai 1908 hatte davon noch niemand die geringste Ahnung. Die Zeit war eitel Frieden, sie war schlichtweg kaiserlich. Eine Woche nach Maxens Geburtstag, am 15. Mai, erschien Prinz Leopold von Bayern zur Truppeninspektion in Nürnberg, wohnte im Grandhotel am Hauptbahnhof und ließ sich abends durch einen großen Zapfenstreich huldvoll ehren.
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Bürger und Arbeiter
Nürnberg hatte zu Anfang des Jahres 311.651 Einwohner, am Ende 316.174 (woran das Ehepaar Grundig einen Anteil hatte), der Rathausneubau an der Theresienstraße machte sichtbare Fortschritte.
Die Stadt hatte ein Vermögen von 180.477.149 Mark und 99 Pfennig, Schulden aber nur 101.038.069 Mark und 52 Pfennig (waren das noch Zeiten!).
Jeder Nürnberger trank im Jahr 243 Liter Bier, was 763.276 Hektoliter ausmachte, und eine Influenza-Epidemie warf 8.730 Leute aufs Krankenbett.
An allen Ecken und Enden begannen Bürger und Arbeiter sich zu organisieren. Der Kaufmann Ernst Reitzenstein, zum Beispiel, wurde am 1. Mai 1908 zum Ersten Vorstand eines »Gemeinnützigen Vereins zur Errichtung von Gartenkolonien« gewählt, dem sich auch Vater Max Emil anschließen sollte.
Arbeiter muckten auf und streikten wild: 100 Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter stritten für drei Mark mehr Wochenlohn, 16 Wagnergehilfen für fünf Pfennig mehr in der Stunde, Insgesamt wurde in 24 Fabriken gestreikt.
Ob das wohl etwas mit der günstigen Beschäftigungslage zu tun hatte? Im Dezember 1908 wurden in Nürnberg nur 2.513 Arbeitslose registriert.
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Die Lebenshaltungskosten um 1908
Ein Pfund Kombrot kostete 17 Pfennig, ein Pfund Rindfleisch 70 Pfennig, ein Ei 6 Pfennig, ein Pfund Butter 1,25 Mark, ein Liter Lagerbier 24 Pfennig und ein Liter Milch 18,5 Pfennig. Die Nürnberger Straßenbahn verlangte 10 Pfennig Einheitstarif, und das schon seit acht Jahren.
Zufälle und Ereignisse
Ein paar Jahre zu früh für den sein Lebtag lang radiobesessenen Max Grundig kam die Gründung des ersten Nürnberger Radio-Clubs. Daß der Lehrer Christoph Wirth, er unterrichtete an der Mädchen-Oberschule Labenwolfstraße, diesen Club ausgerechnet im Geburtsjahr Max Grundigs gründete, ist zwar ein Zufall, aber ein recht beziehungsreicher schon ......
Dieser Christoph Wirth schien überhaupt ein arg heller und erfindungsreicher Herr gewesen zu sein. Knapp zwei Monate, bevor Grundig junior zur Welt kam, erstaunte er dieselbe durch seine Fernlenkversuche auf dem Dutzendteich. Den Süßwassermatrosen fielen vor Staunen fast die Augen ins Wasser, als Meister Wirth mit Hilfe einer »Elektrischen Vorrichtung zur Inbetrieb- bzw. Außerbetriebsetzung einer Anzahl von Maschinen oder anderen Einrichtungen von einem entfernten Punkte aus« (Originalton der Patentschrift des kaiserlichen Patentamtes) Schiffe dorthin lenkte, wo er sie haben wollte.
Schon ein paar Jahre später sollte der junge Max, Bastler bis in die empfindsamen Fingerspitzen, an solchen Experimenten seine helle Freude haben.
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