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Ein Freund schreibt über einen Freund. Egon Fein für Max Grundig zum 75. Geburtstag.
Kapitel VII - 7. Januar 1980 - "Der ditte Beginn"
Ende Oktober 1979 - Max Grundigs zweite schwere Operation war vorbei
Die Ärzte hatten dem etwas unleidlichen Patienten äußerste Schonung verordnet. Es war eine schwere Operation gewesen, und Max Grundig noch lange nicht über den Berg. Er mußte scheußliche Schmerzen haben, aber er beklagte sich nicht. Er war nur ungeduldig.
Es braucht deshalb nicht zu verwundern, daß es den Chef aus Fürth bei den Professoren in München nicht lange hielt. Die erstbeste Gelegenheit nutzte er, dem Hospital den Rücken zu kehren. Ermahnungen schlug er in den Wind, er würde schon selbst wissen, was zu tun sei. Und außerdem habe ihm die Geschichte nun lange genug gedauert. Ein paar Wochen Erholung in Les Zoraides würden's auch tun.
Jan. 1980 - Er konnte es im Bett nicht aushalten
Tatsächlich, und damit hatte niemand gerechnet: Am Montag, 7. Januar 1980, saß er wieder am Schreibtisch in der Kurgartenstraße. Wozu habe ich einen Rollstuhl, sagte er sich, der bringt mich von der Wohnung ins Auto, vom Auto zum Lift, vom Lift ins Büro, und das Ganze umgekehrt. Na also, so krank kann der Mensch gar nicht sein, um auch nur einen Tag länger als notwendig von der Kommandobrücke zu weichen !
Nicht einmal das unwirtliche Wetter am 7. Januar 1980 hielt ihn davon ab, ins Büro zu rollen. Einen Hund hätte man nicht hinausgejagt, Max Grundig wollte hinaus. Es war kalt, trüb und wolkenverhangen, die Straßen eisglatt, und morgens hatte es genieselt. Draußen auf dem Land fiel Schnee, und auf der Münchner Autobahn schob sich eine Blechlawine heran. 80 Kilometer Stau, die Weihnachtsferien waren zu Ende.
Was sonst noch passierte - in Nürnberg und der Welt
In Nürnberg/Fürth sprach man an diesem Montag nur von dem Sprengstoffanschlag auf die Bundesanstalt für Arbeit. Die Bombe am Wochenende hatte viel zerstört in der Regensburger Straße, eine obskure »revolutionäre Arbeitslosenzelle« übernahm die Verantwortung.
Es waren jene ersten Tage des Jahres 1980, da der seinerzeitige US-Präsident Carter neue Sanktionen gegen die Sowjets forderte wegen ihres Einmarsches in Afghanistan, Unruhen im Iran aufflackerten, die Goldpreise in einsame Höhen kletterten und über die Energiekrise Widersprüchliches gesagt wurde: Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff befürchtete eine Ölschwemme, die Handwerkskammer Mittelfranken beklagte die hohen Energiekosten.
Von nun an mit dem Rollstuhl ins Büro
Man konnte es drehen und wenden je nach Perspektive: Die Zeiten waren nicht rosig. Und da kam Max Grundig zurück, um seinen Konzern nicht verwaisen zu lassen, die Schalthebel seiner Hausmacht wieder zu bewegen. Der Rollstuhl stand an seinem Schreibtisch, ein schwerer Krückstock lehnte daneben.
Er hatte es sich geschworen, nicht lange in diesem Stuhl zu sitzen, er wollte möglichst rasch mit dem Stock gehen lernen. Das gelang ihm auch schon nach wenigen Tagen. Er ließ sich nicht helfen, wenn er vom Schreibtisch aufstand und in den Rollstuhl stieg. Das mußte er schon alleine schaffen, und wenn die Schmerzen noch so schlimm waren. Auf eigenen Füßen stehen, das war sein Motto ein Leben lang.
Die Umwelt hatte ihn abgeschrieben, und nun stand er wieder an seinem Platz, der große alte Mann aus Fürth, der eigentlich ein Nürnberger war. Freund und Feind schüttelten ungläubig die Köpfe: Das konnte doch nicht wahr sein, nach zwei schweren Operationen, und schließlich war er nicht mehr der Jüngste!
Respekt von Freund und Feind
Freund und Feind versagten ihm aber auch den Respekt nicht. Zwar nannten sie ihn eigenwillig, bisweilen auch eigensinnig oder dickköpfig, doch vor diesem unglaublichen Willen, vor dieser eisernen Selbstdisziplin, da konnte man nur den Hut ziehen.
Es war noch nie Max Grundigs Art gewesen, sich an eine Sache langsam heranzutasten, er sprang immer gleich mitten hinein, packte die Probleme dort an, wo sie es am nötigsten hatten.
Der Chef war wieder da
Das tat ein kranker Max Grundig nicht anders. Er saß sofort wieder im Sattel und hielt die Zügel fest. Ein Konzernchef von solchem Kaliber war sich das selbst schuldig ...
Modellreihen, Programme, Entwicklungen, Produktionen, Vertrieb - wie stand's damit ? Die Palette war ja nicht kleiner geworden, im Gegenteil:
Fernseher, farbige und schwarz-weiße, Radios, Autoradios, Farbfernseh- Projektoren, HiFi, Digital-Plattenspieler, Diktiergeräte, professionelle Elektronik für Wirtschaft, Forschung, Technik und Behörden, und nun auch noch das neue diffizile Problem-Medium Video.
Der Herr über dies alles hatte rasch Kopf und Schreibtisch voll, und der Konzern wußte: Max Grundig war wieder da.
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Wie vor 50 Jahren - Schreinermeister Weigel steht vor der Tür
Ausgerechnet jetzt tauchte im Chefbüro an der Kurgartenstraße ein Mann auf, den Max Grundig zwar nicht vergessen, aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte: der Schreiner- meister Weigel aus der Fürther Hirschenstraße. Er hatte vor 50 Jahren in der Sternstraße den ersten Laden eingerichtet.
Es muß wohl der 15. Januar 1980 gewesen sein, ein Dienstag, und eine Woche, nachdem der Konzerndirigent wieder das Podium bestiegen hatte, als der betagte Schreinermeister samt seiner Tochter erschien und sich durch nichts in der Welt aufhalten ließ.
Die Anrede wie damals, als der "Maxi" noch ein Bub war
»Grundig«, sagte er, nicht »Herr« Grundig, und er redete nicht lange um den Brei herum, als wüßte er, daß er mit seinen 82 Jahren nicht mehr viel Zeit hatte, »ich habe Sie als meinen Erben eingesetzt. Sie bekommen alles, was ich besitze.«
Max Grundig sagte nichts. Er konnte gar nichts sagen, denn so etwas war selbst ihm noch nie passiert. Er schaute den Schreinermeister ungläubig an, der ihm, dem Millionär, sein Erbe vermachen wollte, und er schüttelte den Kopf:
»Ja, Herr Weigel, wie kommen denn Sie auf so eine Idee? Ich brauch' doch von Ihnen nix. Das kommt doch gar nicht in Frage. Haben Sie denn keine Erben?«
»Schon. Meine Verwandtschaft. Aber die kriegen nix. Weil die mich schon seit zehn Jahren drangsalieren. Ich soll ihnen alles überschreiben. Jetzt erst recht nicht. Bei Ihnen ist die Sach' gut aufgehoben, Sie waren immer ein feiner Kerl, wir haben uns schon vor fünfzig Jahren gut verstanden.«
»Nein, nein. Ich nehm' nix. Wie stellen Sie sich denn das vor?«
»Das ist ganz einfach. Ich hab' da mein Haus in der Hirschenstraße, vier Stockwerke, unten der Laden und die Schreinerei, das kennen Sie ja. Und dann noch das Grundstück neben Ihrer Fabrik. Das vererbe ich Ihnen, und dafür sorgen Sie für meine Tochter, wenn ich gestorben bin, die kriegt eine Rente von Ihnen oder Anteile oder sonstwas, solange sie lebt. Wie Sie das regeln, das ist mir Wurscht. Die Hauptsache, sie ist versorgt. Und dann müssen Sie noch mein Grab pflegen.«
Am Ende konnte Max Grundg nicht ablehnen
Max Grundig versuchte, das absonderliche Angebot des schrulligen Schreinermeisters mit einem Scherz abzutun: »Aber ich muß dann nicht jeden Tag selbst zum Friedhof raus und die Blumen gießen! Wissen S' ich bin zur Zeit ein bisserl schwach auf den Beinen.«
Für Witze hatte der Weigel nichts übrig, ihm war die Sache bierernst: »Das ist doch egal, wer das Grab pflegt. Aber mein Erbe, das muß geregelt werden. Das gehört Ihnen.«
Der Disput ging noch eine Weile hin und her, der Millionär und der Schreinermeister stritten um ein Erbe, das der eine nicht haben und der andere ihm unbedingt andrehen wollte.
Ein Kompromißvorschlag Max Grundigs schob die Entscheidung auf: »Jetzt überlegen Sie sich die Geschichte nochmal, ob Sie's nicht doch Ihrer Verwandtschaft geben wollen. Oder verschenken Sie es für einen wohltätigen Zweck.«
Schreinermeister Weigel war zwar von seinem Erbschaftsbeschluß nicht abzubringen, ging aber erstmal, wenn auch brummelnd und kopfschüttelnd, wieder nach Hause. - »Ich komm' fei bald wieder.«
Dieses Versprechen hielt er - schon eine Woche später war er wieder da, wieder mit seiner Tochter. »So Grundig, was ist jetzt mit der Erbschaft ?«
Mit dieser direkten Frage fiel er ins Haus, und seine Tochter begründete den väterlichen Wunsch: »Herr Grundig, tun Sie ihm doch den Gefallen. Der spinnt schon die ganze Zeit davon und sagt fortwährend: Alles, was ich hab', das kriegt der Grundig. Sie müssen ihm diesen Wunsch erfüllen, denn der Verwandtschaft gibt er's bestimmt nicht.«
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Die Hartnäckigkeit übertraf die des Max Grundig
Als auch größte Hartnäckigkeit des Konzernmächtigen dem kleinen Schreiner gegenüber nichts nützte, und Meister Weigel damit drohte, daß er so lange wiederkommen werde, bis er seinen Willen durchgesetzt habe, fingen die Herren an, den Erbschaftsvorgang ernsthaft zu besprechen.
Dabei stellte sich heraus, daß das zitierte Grundstück neben dem Werk an der Dr.-Mack-Straße, 8.000 qm groß etwa, schon lange ein Zankapfel zwischen dem Konzern und dem Schreiner Weigel war, ohne daß Max Grundig eine Ahnung davon gehabt hatte.
Diesen Grund wollte die Firma bereits vor Jahren für einen Parkplatz kaufen, aber der Besitzer gab ihn um keinen Preis der Welt her. Jetzt fiel das umkämpfte Land ohne einen Pfennig an die Grundig-AG.
So kam der millionenschwere Max Grundig zu einem Erbe, das er nicht haben wollte. Er vermachte Haus und Grund seiner Stiftung und kümmerte sich, wie ausgemacht, um die Tochter des Schreinermeisters. Der starb ein Jahr später. Sein Grab wird regelmäßig gepflegt.
1980/81 - Es wurde Ernst - die Japaner kamen jetzt mit Macht
Das Weigel-Intermezzo konnte Max Grundig nicht über die Probleme hinwegtäuschen, die seine Branche bedrängten. Japans millionenfache Billigimporte überschwemmten den Elektronikmarkt wie eine Ameisen-Invasion, die nur kahle Felder zurückläßt. Die Techniker mit der aufgehenden Sonne im Fahnentuch läuteten den Untergang ihrer Konkurrenz im Rest der Welt ein, wie sie schon die Optik-und Fotoindustrie ausgehungert hatten.
Die Kapitulation der Amerikaner war so gut wie beschlossene Sache, sie produzierten, zum Beispiel, kein einziges Videogerät. Und in der Bundesrepublik schien der Weg dahin nicht mehr weit. Renommierte Marken überklebten Fernost-Video-Importe mit ihren Firmenwappen und gaben sie als Hausgemachtes aus.
Inlands- und Auslands-Umsätze stagnierten gleichzeitig
Ein Max Grundig wollte da nicht mitspielen. Hatte die Krankheit ihn nicht gebeugt, die Niedriglöhner aus Nippon würden es auch nicht. Er nahm den Kampf im Rollstuhl auf.
Wie sollte man der Malaise beikommen? An der Menge lag's nicht, Verkauf und Umsatz stiegen sogar leicht an, aber der Ertrag wurde immer schmäler. Dazu führten höhere Lagerbestände, die Zahlungsmoral fiel in den Keller, das hohe Zinsniveau drückte auf die Bilanzen, die Zinskosten machten bereits zwei Prozent des Umsatzes aus, Material wurde teurer, die Löhne kletterten weiter - womit die Japaner keine Probleme hatten.
Durch Exporte war hier nichts mehr auszugleichen. Die Flaute machte den Käufer draußen genauso schlapp wie drinnen.
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